Sonntag, 29. Mai 2011

XIU XIU – Pathosformeln aus der Kampfzone

Sieben Versuche einer Annäherung

Hype/Öffnung
Irgendwo im Niemandsland zwischen verschüttetem NewWave-Pessimismus, nervösen Beats, harschem Noise und intimem LoFi Singer-Songwritertum existieren die Songs JAMIE STEWARTs und seiner MitstreiterInnen.
Nachdem sein Vorgängerprojekt TEN IN THE SWEAR JAR das Zeitliche gesegnet hatte, entstand im Jahr 2000 dieses seltsame Ungetüm, diese Wunschmaschine namens XIU XIU. Benannt wurde sie nach "Xiu Xiu: The Sent-Down Girl", einem chinesischen Film, welcher ganz bestimmt sehr traurig, sehr trist und sehr schön ist. Ganz kurz gesagt, geht es in diesem um eine in der chinesischen Provinz zur Zeit der Kulturrevolution gestrandete junge Frau, ihre Liebe und den Missbrauch, welchem sie ausgesetzt ist. Vielleicht ist der Film auch nicht schön, sondern einfach nur realistisch, was die Vergegenwärtigung von Verzweiflung im den Zeichen des ländlichen Melodramas angeht.

Die zweite Inkarnation des traurigen jungen Mädchens erfolgt freilich in einem gänzlich anderen Milieu. Ihre Musik besetzt einen sperrigen Raum, geprägt von harmonischem 80er Jahre Pop, rauschenden Industrial-Anleihen, dissonantem Ambient und emphatischem Indierock, welcher affektiv wie ein Kammerorchester und abstrakt wie ein Abend serieller Musik funktionieren kann, während er jederzeit auf zweifelsfreie Art urban ist.
In den sieben Jahren ihres Bestehens hat die Band exakt fünf reguläre Alben veröffentlicht, weiterhin eine Live-LP, viele Singles und einige kürzere, wie auch längere, Zusammenarbeiten mit illustren Künstlern wie MARISSA NADLER, DEVANDRA BANHART, GROUPER oder LARSEN "verbrochen". Man sieht: Sammler kommen hier auf ihre Kosten.

Dabei existiert eine fühlbare Differenz zwischen der Blog-Hype-Euphorie, mit welcher jede ihrer Platten erwartet und hochgejubelt wird, und der ganz konkreten relativen Unbekanntheit der Band. Beinahe zeitgleich stellt sich natürlich die Frage: ist das wirklich so gut? Just remember Mediengruppe Telekommander: „Vorsicht, ein Trend geht um“. Aber da es ja auch ein Trend ist, gegen den Trend zu sein, wollen wir uns in die Höhle des Löwen begeben und zuhören.

Alles kann zusammenstürzen

In XIU XIU’s Welt erhält ein minimalistisch, straigther Popsong wie "The Fox & The Rabbit" genau so viel Kredit wie das experimentell, verzerrte "Saturn": da kann alles in ein oder in einem Lied zusammenstürzen. So folgt in "Bishop, CA" auf die skeptisch-hingebungsvolle Zeile „crying for the stupid world we share“ ein entrückter, verhallter Refrain, nur um wieder in perkussiver, orchestraler Dissonanz sein jähes Ende zu finden.
Und dann gibt es ja nicht nur das inzwischen „jährliche“ neue Album, sondern, wie bereits erwähnt, auch eine Vielzahl musikalischer Zusammenarbeiten, mal ins Epische ausgreifend, wie auf "Spicchiology", welches elegisch entrückt Schönheit zelebriert, mal gothisch-abstrakt wie auf "Creepshow", dessen Tracks sich schließlich in passiver Atonalität verlieren.

Songpolitik und Veröffentlichungsfülle legen es bereits nahe: Die Strategie der Künstler ist weder dialektisch noch katastrophal, sie ist (Beinahe? Ohnmächtig? Notwendig?) hysterisch, pathetisch. Und genau dies schützt sie davor in affektierten, postmodernen Eklektizismus abzudriften. Auf XIU XIU-Platten kommt der Begriff "Cut-up" zu seinem eigentlichen Recht – cut up – das muss man ganz wörtlich nehmen, und schon verflüchtigt sich das Phantom der Beliebigkeit. Das Moment des Expliziten – politisch, sexuell, lyrisch musikalisch – widerspricht dem laxen Gestus des "alles halb so wild".
Ein Liedtext wie "Saturn" – in dem die Penetration des US Präsidenten lyrisch imaginiert wird – ist ein solcher Text sexuell oder politisch, ernst gemeint oder ein Scherz? Oder alles zugleich?

George, when it comes to bedtime
my sweetness will not go to waste
i will shoot this arrow right up anus and
you’ll taste what we taste,
i will stab it right through the bottom of your mouth
you’ll taste what we taste
what you make them taste


Zunächst einmal stellt er eine Sexualisierung des Politischen dar, anstelle einer konservativen (ideologischen, weil uneingestandenen, heterosexuell-normierten) Politisierung der Sexualität. Sicher, es muss sich um eine Übertreibung handeln, aber was ist das Spezifische dieser Übertreibung? Vielleicht kann hier nur eine versuchsweise Antwort richtig sein: diese Politik der Privatisierung erinnert am ehesten noch an RAINER WERNER FASSBINDERs Beiträge zu "Deutschland im Herbst", mit ihrer inszenierten und doch schonungslos privaten (und hier wäre zu fragen: schamlosen?) Reaktion gegenüber Terror und Gegenterror im Nachkriegsdeutschland des Jahres 1977.

Erlösung revisited
Wie unpassend: Das Cover des letzten regulären XIU XIU-Albums präsentiert eine klassische ECCE HOMO- Figur. Ein dornengekrönter Gottessohn schaut aus blutenden Augen den Betrachter frontal an: "Sehet, welch ein Mensch". Dabei gilt doch: An nichts denkt man bei diesem musikalischen Selbsterfahrungstrip weniger als an Erlösung oder ein entsühnendes Opfer.

Und dennoch ist in dieser Musik etwas, das ihre Hörer scheinbar nicht verwüstet zurücklässt.
Da leuchtet immer wieder etwas, denn diese Musik ist ein Versprechen und das Dornenhaupt Christi macht dies umso mehr bewusst, je weiter sich die Musik von einer Erlösung im schönen Schein entfernt. Frei nach LEONARD COHEN:

There is a crack in everything
That’s how the light gets in


Ganz konkret bedeutet dies: "The Air Force" ist kein erbauliches Werk und gerade das lässt hoffen. Auf ihm liegt eine gewisse Anzahl von Strategien und Herangehensweisen in komprimierter Form vor - verletzliche, manchmal schwer groovende Disharmonie in theatralischer Überhöhung: Schönheit mit Wunden, nicht Narben.

Musik und Glück
Populäre Musik verspricht etwas, das eigentlich jeden angehen sollte: Glück - und wenn auch nur für einige Minuten oder einen Abend. Dabei handelt es sich um einen genuin, demokratisch-naiven Anspruch, welcher erstaunlich langlebig zu sein scheint. Denn die Tanzfläche war zwar schon für die Postpunker von GANG OF FOUR der Ort, an dem das kulturindustrielle Kapital seinen Profit machte, dennoch mochten gerade diese Herren nicht auf Tanz oder Ekstase verzichten.

Womit wir konkret bei den Versprechungen der Popkultur angekommen wären, die auch für JAMIE STEWART eine entscheidende Rolle spielen oder spielen müssten: Gefühle, Euphorie, Liebe. Ein ganzer Haufen großer Begriffe, die man eigentlich zu kennen glaubt, die sich aber untergründig als unbekannt, da allzu bekannt erweisen. Popmusik trägt derweil nicht zu ihrer Klärung bei, präsentiert sie diese doch stets ordentlich sortiert nach Genres, in Dosen verpackt, in Formen gepresst mit denen leicht umzugehen ist.

Das dabei etwas auf der Strecke bleibt, ist bereits auf den zweiten Blick zu erkennen. Hier geht es um die Distribution und Kommunikation konsumierbarer Affekte und damit beginnt auch bereits das Problem: die Intensität der Gefühle, die Authentizität nach der verlangt wird und welche Popmusik befriedigen soll, widerspricht ihrem inneren Organisationsprinzip. Wenn Authentizität und Affekt zum Zeichen ihrer Selbst werden, ist etwas verloren gegangen, das vielleicht nicht so leicht zurück zu gewinnen ist – Popmusik ist dann nicht mehr unschuldig, vielmehr, sie war es nie.

Und dennoch: auf einem Album wie "Fabulous Muscles" finden sich Lieder, welche Dancefloor, Hyme und musikalische Dissidenz auf das intensivste miteinander verbindend, so etwas wie ein reales, wenn auch traumatisches Glück mitteilen. Kellerclubmusik für eine bessere Welt ohne falsche Hoffnungen.
Hier schafft es der slow-motion-lastige Tanzflächenkracher "I luv the vally OH!" sich zwischen Indiehit und Schrei in den Hörgängen festzusetzen, dort entwickelt "Crank heart" beinahe eine gewisse Manchester-Virilität. Und dann versinkt dieses Meisterwerk in atonalen Schleifen, verfremdet anmutender Perkussion und Klaviermelodieresten.

Die Melancholie des Pop
Es ist Songs XIU XIUs, allen voran denjenigen des Albums "La Forêt", anzumerken was es kostet, festzuhalten: Beziehungen, Gefühle, Momente, Widerstand. Unterdessen mischt sich, beinahe unbemerkt, ein Tonfall der Bedrohung unter die Songs. Militärische Snares, Metallkratzen, verhallte Drumcomputer und schwer-wavige Gitarrenarbeit tauchen das Album in ein schmutziges Grau. Stellenweise verschwindet der Gesang im hellen Dröhnen, geradezu ambientlastiger Passagen. Und es stellt sich das Gefühl ein, hier im "Zitat" etwas Besonderem das Ohr zu leihen, einer originären Sprache zuzuhören, keiner Form aus zweiter oder dritter Hand, sondern einer Art Stottern, welche weniger ein Plagiat, als vielmehr ein originäres Sprechen darstellt.

Paradigmatisch brachten wohl TON STEINE SCHERBEN die Angst vor den toten Pathosformeln des Ausdrucks und ihrem Verrat am Gefühl im Booklet von "Keine Macht für Niemand" zum Ausdruck: "Wie kann ich noch sagen: ‚Ich liebe dich!’ Nachdem ich gehört habe: ‚Autos lieben Shell!’?"
Und vielleicht ist hier der Punkt, von dem aus sich die Melancholie des Pop, sein notwendiger Selbstzweifel an der eigenen Ausdruckskraft erhellt. Wo selbst die Sprache der Liebe, den Sprechenden als entfremdete und objektivierte entzogen wird, dort wendet sich das Subjekt des Begehrens angeekelt ab. Und welches Subjekt wäre tiefer in Musik versponnen, als eben jenes?
All dies findet sich, wenn auch gebrochen, in der Arbeit XIU XIU´s: Das Misstrauen gegen die Formen bei gleichzeitiger Bejahung derselben, die Sprache der Liebe bei gleichzeitiger Konterkarierung des sentimentalischen weißen Liebesliedes durch explizite Artikulation sexueller Differenz. Der Widerspruch wird Prinzip der Erfahrung.

Pathos und Hysterie
Augenfällig herrscht im Werk JAMIE STEWARTs eine gewisse Exaltiertheit vor.XIU XIU sind zugleich hyperaktiv-hysterisch in der Instrumentierung, wenn sie Electro-Schnipsel, Drones, Lo-Fi Akustikgitarren oder Schrammelpop zusammenzerren, und auf perfide Weise pathetisch. Gleiches gilt für den Gesang, die Stimme.
In der Konsequenz vergreift man sich manchmal im Sekundentakt an den großen Popvokabularen der Liebe, des Schmerzes und der Politik, sowie ihrem guten Ton, indem all dies theatralisch-hysterisch aufgeladen wird.
Wenn uns der Ausdruck die Intensität des Gefühls nimmt, welches er zu artikulieren verspricht, dann zeigt sich vielleicht in seiner Selbstdestruktion, im pathologischen, distanzlosen „Zuviel“, die nackte Haut des Liedes.
Wenn die Formen bersten, rinnt Schönheit als Rau- oder Rohheit durch. Diese Schönheit ist konkret und blutig, wie mancher der Texte, ein Logbuch sexueller, existentieller, politischer und ästhetischer Differenz.

Welcome to the pleasuredome…
Brandhell ist diese Musik und so ist es kein Wunder, daß man auch eine JOY DIVISION / NEW ORDER- Coverversion im Oeuvre der Band finden kann. Auf "Chapel of the Chimes" gibt es eine krächzende Aneignung des Klassikers Ceremony:

Oh, I’ll break them down, no mercy shown,
Heaven knows, its got to be this time,
Watching her, these things she said,
The times she cried,
Too frail to wake this time.

Oh, Ill break them down, no mercy shown,
Heaven knows, its got to be this time,
Avenues all lined with trees,
Picture me and then you start watching,
Watching forever, forever,
Watching love grow, forever,
Letting me know, forever.


Im agonalen Pop XIU XIU´s bleibt von dem Ungenügen am Pop der Schmerz, von seinem Versprechen die Verzweiflung, während sie zugleich uneingelöst vergegenwärtigt bleiben. Trotz oder gerade wegen Jesus auf dem noch aktuellen Cover - profane Musik. Zugegeben: kein Ende, ein Anfang.




XIU XIU mit ihrem Song "I Luv The Valley Oh!" aus dem Album "Fabulous Muscles" (2004).

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