Dienstag, 6. Dezember 2011

VERSETS NOIR Special, VORDR & GANDR

  ILDJARNs Erben in Finnland gesichtet

VORDR - "Vordrd" 7", VERSETS NOIRS

Bei fast jeder dritten Black Metal Krachtruppe bekommt man einige Schlagwörter serviert. "Primitiv" ist so eines dieser immer wiederkehrenden Schlagwörter. Aber was bedeutet das in dem Ozean musikalischer Ergüsse schon? In Norwegen hat sich Anfang der 90er Jahre inmitten der aufbrausenden Black Metal Szene ein Musiker daran gemacht, diesem Wort auch eine musikalische Ausdruckform im Black Metal zu geben: ILDJARN
Die Musik wurde gemeinhin als Lärm bezeichnet und zeichnet sich durch Fehlen jeglicher musikalischer Feinfühligkeit aus, welche Gruppen wie EMPEROR erst groß gemacht haben. Wo MARDUK 1999 bei dem Album "Panzer Division Marduk" sich mit Superlativen überschlugen, war dieser Zug 1995 mit dem selbstbetitelten Album "Ildjarn" schon lange abgeschlossen.
Die finnische Gruppe VORDR (der Sänger Gandr hat noch zwei Soloscheiben in Richtung Ildjarnischer Musik) hat diese Art der Musik aufgegriffen und verfeinert. Bessere Soundqualität, spielfreudiger und etwas abwechslungsreicher als das Vorbild aus Norwegen. Aber genauso intensiv und primitiv. Ebenso wie der Herr Vidar von Ildjarn, haben die Finnen einen eigenen Humor, eine eigene Darstellung der Welt. Wer schon immer einmal die CRADLE OF FILTH-Hörer von nebenan wirklich Ärgern wollte, Vordr hat eine ganze Reihe prächtiger Möglichkeiten geschaffen, genau dieses zu tun!
Die 7" hat drei Stücke, die für diese Veröffentlichung exklusiv sind.

GANDR - "Yöllisen Ylistys" CD GANDR - "Talvitunnelmia" CD 

In einer deutschen Black Metal Zeitschrift wurde mal über ILDJARN geschrieben, die Musik sei für alle, denen DARKTHRONE zu melodiös ist. Dies hat sich scheinbar jemand in Finnland zu Herzen genommen. Ist nicht nur Vordr, die Hauptgruppe des Sängers Gandr, eine Art Hommage an den Trümmerbarden aus Norwegen, auf den Solo Ergüßen scheint es sich um eine direkte Fortsetzung solcher melodiösen Meisterwerke wie "Forest Poetry" zu handeln. 

Im Gegensatz zu VORDR klingt GANDR direkt nach ILDJARN: Der Bass wummert aus den Boxen, die Gitarren in den Hintergrund gemischt, ein Schlagzeug, was wie eine defekte Sprinkleranlage klingt und Gesang, wo der kleine Pudel aus dem Treppenhaus fällt [wtf?]. Dazu stellt sich ein angenehmer AC/DC-Effekt ein, kennt man ein Lied, so scheint es als ob man alle anderen auch kennt. Bei VORDR hingegen ist die Gitarre eher im Vordergrund und es ist nicht ganz so chaotisch. Wolltet Ihr schon immer mal eine Party sprengen, die Kinder von nebenan übertönen oder den Baustellenarbeitern vor eurem Fenster zeigen, was richtig guter Krach ist? 
Bisher sind zwei Vollalben bei Versets Noirs, sowie zwei Split Tapes erschienen. Das Tape mit FOREST GRAVE ist in Eigenproduktion erschienen. Für das Split Tape mit FORBIDDEN CITADEL OF SPIRIT zeichnet sich Winterreich Productions aus Australien verantwortlich. Für alle Interessierten empfehle ich erst einmal die Soundbeispiele der Website von Versets Noirs anzuhören. Für diejenigen, die Ildjarn oder Vordr sowieso schon Zuhause stehen haben, sind die beiden CDs eine gelungene Weihnachtsüberraschung.


Soundbeispiele:

Label:










Sonntag, 27. November 2011

Circle of Ouroborus


Wenn BURZUM auf JOY DIVISION trifft


"Unituli" CD, Kuunpalvelus Records

CIRCLE OF OUROBORUS ist eine relative neue Gruppe aus Finnland. Ihr erstes Demo "Introitus" von 2004 wurde auf nur 69 Stück limitiert, womit es an der Zeit für eine Wiederveröffentlichung wäre. Innerhalb von knapp sechs Jahren hat man es auf neun Vollalben, etliche Splits und Demos geschafft. Mitunter wurden einige private Editionen herausgebracht, die an Freunde und Bekannte der Gruppe gingen (wie z.B. die "Veneration"-LP / Demo). Darunter auch - ungewöhnlich für Black Metal - findet man einige Akustik-Alben mit Neofolk-Anleihen und depressivem Einschlag. 

Man will nicht so recht in die Klischeeschablone des Black Metals passen. Oder gerade wegen der Eigenständigkeit eventuell doch? 
Die Musik erinnert frappierend an die verwaschenen Gitarrenriffs vom "Filosofem" - Albums des norwegischen Vorzeige-Black-Metaller Varg Vikernes (BURZUM). Das monotone Wiederholen der Musikstrukturen wurde ebenso übernommen wie das helle Gitarrenspiel. Der Gesang lässt einen dann den Traum eines transzendenten Geistes allerdings schnell wieder austräumen. Erinnert er doch eher an einen traurig verträumten Ian Curtis zu "Warsaw" - Zeiten. Ich tendiere eher zu der Vorstellung eines depressiv - verträumten David Tibets (CURRENT 93).
Die Frage, was das mit Black Metal zu tun hat, dürfte von vielen in den Raum geworfen worden sein, die die Musik schon gehört haben. Nichts, oder doch alles? 
In Zeiten wo die Musik zum größten Teil aus Klonprodukten vorheriger Generationen besteht, stellt diese Art der Interpretation eine neue und interessante Variation des schon Bestehenden dar. Ebenso wie die "Fuck all" - Punkattitüde, die sich in der Musik von BONE AWL oder WHITE MEDAL niederschlägt, wurde hier etwas anderes konsequent weiterverfolgt. Und das ist ein Teil dessen, was den Black Metal ausmacht. So ist man über den normalen Klischeeansatz von Satan, Hitler und Pol Pott hinausgegangen und verkörpert eine melancholische, leicht depressive Klangdarstellung. Ruhig, besinnlich und irgendwie anders.

"Armon Keitaalla" 3xTape Box, Kuunpalvelus Records

Mit dieser 3xMC Box hat man wieder mehr Black Metal typische Elemente in die Musik eingebaut im Vergleich zu den letzten Veröffentlichungen. Der Gesang ist keifend und sehr mit Hall belastet, die Gitarren sind wieder vermehrt in den Vordergrund gerückt. Die melancholischen und verletzlichen Elemente der letzten Alben sind der verrauschten Aggression der Anfangstage gewichen. Trotz allem sind die Melodien sowie die Songstrukturen ähnlich geblieben, und man verzichtet auch nicht auf die allgegenwärtige Monotonie, die ein typisches Erkennungsmerkmal dieser Gruppe geworden ist. 
Da die erste Edition der Box überraschenderweise sehr schnell ausverkauft war, wird es in kurzer Zeit eine Zweitauflage geben. Es ist daher sinnlos, die Musik über eBay zu kaufen und sehr teure Preise zu zahlen, wenn man sie auch direkt vom Label bekommen kann.
Die letzte Veröffentlichung von CIRCLE OF OUROBORUS trägt den Namen "Eleven Fingers" und ist in einer limitierten Auflage von 500 Stück beim Label Handmade Birds ausschließlich auf LP erschienen.

http://soundcloud.com/kuunpalvelus 

Samstag, 19. November 2011

Rape – Rape CS f-59 Filth & Violence

Bei dem Label Filth & Violence ist der Name Programm. Mit dem Release (Nummer #59) des deutschen Projekts namens Rape (oder RxAxPxE)  treffen wieder beide Teile des finnischen Labelnamen zu: Filth and Violence. Ausgeholfen hat der finnische Starmusiker Pasi Markkula (Filth & Violence, Bizarre Uproar und gefühlte 1.000 andere Sachen). Das Artwork zeigt die Richtung, wohin die Musikalische Reise gehen soll. Ein schwarz-weiß kopierter Einleger mit nur spärlichen Informationen. Typisches DiY-Prinzip, was hier voll aufgeht. Man kennt es zudem von F&V nicht anders, selbst das Vinyl wird in gleicher Art ausgeliefert. Das Frontbild zeigt die Beine einer Frau, die wohl vergewaltigt oder zusammengeschlagen wurde. Genau sagen kann man es nicht, die Beine sind von Blutergüßen übersät. Die  Rückseite zeigt einen Ausschnitt aus einem Gemälde einer mittelalterlichen Folterszene. Das Innenbild dagegen kann ich beim besten Willen nicht interpretieren. Eine für den Power Electronics typische Gewaltorgie. 
Der Sound ist dreckig, man hört monotones Gewummere, gemischt mit verzerrtem Rauschen und vereinzelten Rückkopplungen, alles unterlegt mit wütendem Geschrei. Die Welt in "Filth-City" ist einfach noch in Ordnung. Leider ist das Ganze viel zu schnell und extrem aprupt vorbei. Auf beiden Seiten ist zudem die gleiche Musik gespielt, sodass man sich das Zurückspulen des Tapes ersparen kann. Im Gegensatz zu der vorherigen Demo-CDR von RxAxPxE sind hier keinerlei Grindcore-Einflüße oder rythmische Noise-Tracks enthalten. Man ist beim reinen Power Electronics angekommen. 
Das Tape ist (logischerweise) wieder limitiert und über Freak Animal, F&V oder vom Künstler direkt erhältlich. Für alle interessierten Noise/Power Electronics-Hörer ist das Tape sicherlich eine interessante Anschaffung, allerdings wird hier nichts Neues erfunden, sondern Altbewährtes nochmals neu präsentiert. 
 
Interview mit Ponti FX (P) geführt von aske (A):
A: Stell mal bitte dein Projekt vor.

P: RxAxPxE wurde 2005 gegründet mit dem Ziel musikalische und ästhetische Extreme auszuloten. Zu Anfang war der Sound noch sehr Beat-bezogen und tendierte wohl eher in Richtung Speedcore mit Grind-Einflüssen. In der Folge erschienen eine ganze Reihe von Tonträgern, wobei es sich vornehmlich um Split-Veröffentlichungen handelte, unter anderem mit ABSURDGOD (Jap.), COCKGUNBLAST, NOISECONCRETE und INTESTINAL DISGORGE. 2010 wurde dann das erste Full-Length-Album namens "Droning Disdain" veröffentlicht, das mittlerweile musikalisch komplett in eine andere Richtung ging und wohl am ehesten als Old School Industrial beschrieben werden könnte. 
Anschließend gab es noch ein Split Tape mit EN NIHIL und das "Rape"-Tape auf Filth&Violence. Beide letzteren Releases gingen wiederum in eine komplett andere Richtung als "Droning Disdain" und sind wohl eher in der Power Electronics/Noise-Ecke anzusiedeln. Wie man sieht, änderte sich der RxAxPxE-Sound stetig und war von Release zu Release unterschiedlich. Das hängt mit meinen persönlichen musikalischen Vorlieben zusammen, die auch stets im Wandel sind. Ich betrachte diese Wandelbarkeit aber durchaus als eine gute Sache. Projekte, die auf jedem Release gleich klingen und sich immerzu kopieren, braucht kein Mensch.

A: Was fasziniert dich so sehr an Grindcore und Power Electronics?

P: Ich denke beide Musikrichtungen haben durchaus Gemeinsamkeiten. Für mich sind das die Ehrlichkeit und die Energie, die transportiert wird. In ähnlicher Form sind diese Merkmale aber sicherlich auch bei einigen erlesenen Black Metal Bands zu finden. Trotzdem bin ich nicht auf diese Musikrichtungen beschränkt.

A: Woher kommt bei dir der Sprung von Grindcore zu Power Electronics
oder ist das eher
eine fließende Sache?

P: Ich denke eher Zweiteres. Als "Sprung" würde ich den musikalischen Wandel nicht bezeichnen, vor allem auch nicht, weil eben auch schon in den Anfangszeiten jedes Release grundlegend anders klang als das vorangehende und das nachfolgende. Der Power Electronics
-Bezug seit "Droning Disdain" erschien logisch, war aber nicht geplant.
A: Woher kommt die Faszination von dem Ganzen (Rape, S/M, Mutilation,
Splatter)?


P: Herabwürdigung und Gewalt sind grundlegende Charakterzüge des Menschen. Insoweit müssen sie gut sein, oder?

A: Wofür machst du diese Musik, ist da eine Aussage hinter oder ist das
eher so eine spontane "just for fun"-Sache?


P: Mit "just for fun" hat RxAxPxE sicherlich nichts zu tun und es gibt selbstverständlich hinter jedem Release eine Aussage, die man in der Kombination aus Titel, Lyrics und Coverart finden kann, aber die zu interpretieren Sache des Hörers ist.

A: Power Electronics
glänzt mit Provokation, inwieweit ist das Ernst gemeint und inwieweit lediglich "reine Provokation" zur Unterhaltung?

P: Ich kann natürlich nicht in die Hirne der Kollegen hineinsehen. Doch will ich hoffen, dass vieles ernst gemeint ist. Das macht die Sache doch erst interessant. Wer will denn "Fake-Musik" hören? Schwierige und unbequeme Themen aufzugreifen um der Gesellschaft gewissermaßen den Spiegel vorzuhalten halte ich für unnötig, unnütz und pseudo-intellektuell. Meines Erachtens ist das nur eine Ausrede um sich selbst über die Anderen zu erheben und sich moralisch abzusichern. Sehr armselig.

A: Siehst du einen künstlerischen Anspruch in der Arbeit oder denkst du
eher, dass das eine Ausrede vieler Musiker ist um nicht auf ihre
Interessen festgenagelt zu werden?


P: Als "Musiker" würde ich mich nicht bezeichnen. Für mich geht es im PE/Noise nur um Stimmungsvermittlung und den Transport von Emotionalität. Dass das mit Musik im ursprünglichen Sinn, die in meinen Augen alleine der Unterhaltung dient, nicht viel zu tun hat und nach mehr Beschäftigung und Partizipation verlangt, macht das Genre gerade so interessant und qualifiziert es gleichzeitig als Kunst. Allerdings eine Form von Kunst, die weit über die klangliche hinausgeht.

A: Für wen machst du die Musik? Für Leute mit gleichen Hörgewohnheiten
und Interessen oder für die Allgemeinheit um diese zu schocken oder
"wachzurütteln"?


P: In erster Linie mache ich Musik für mich selbst. Natürlich freue ich mich wenn Leuten die Kombination aus Klang und Inhalt gefällt und sich Labels für Veröffentlichungen finden, doch im Endeffekt würde ich auch weitermachen wenn sich kein Mensch dafür interessieren würde. Es geht hier um Befriedigung.

www.rxaxpxe.de

http://www.discogs.com/RAPE-RAPE/release/3095371

 

Brighter Death Now – very Little Fun 3CD/4LP Cold Meat Industry

Eine neue BDN und dann gleich eine Mammutangelegenheit von 27 Tracks. Die 3CD-Box kommt im schicken Hochglanz-Digi und einem geprägtem Slipcase daher. Die 4LP in ähnlicher Art. 
Das im Werbetext als "offensiv" angepriesene Artwork ist allerdings für heutige Verhältnisse (im Besonderen auf diese Musikrichtung bezogen) nichts Besonderes. Der Satz "The Artwork is not for people with limited brain capacity!!” scheint eher dem Kaufanreiz statt einer besorgten Warnung zu dienen. Auf dem Frontbild des Digis findet man eine Collage von gestapelten KZ-Leichen. Darüber ein Bild einer jubelnden Sportmannschaft Flaggen mit dem BDN-Logo (der Necrose, wie Herr Karmanik es selbst genannt hat) haltend. Würde das eventuell in den 80ern noch für Aufsehen gesorgt haben, dürfte das heute kein müdes Gähnen mehr hervorlocken. Ebenso das Bild des Mädchens, was vom Vater (oder einem anderen Mann) festgehalten wird, schockt nicht wirklich. Da wurde bei BDN schon anderes verwendet (wie bei der "Innerwar" z.B.). Von dem Artwork vergleichbarer Projekte wie NICOLE 12 oder TAINT mal ganz zu schweigen. 

Beim ersten Blick erscheinen 27 Tracks sehr viel, allerdings wurden sieben Lieder berücksichtigt, die bereits auf den folgenden Veröffentlichungen zu finden sind:
  • Split Proiekt Hat Destroy CDR 37
  • Hunger For Love
  • Split Coph Nia Nunsploitation 12” Slow Death
  • Split Proiekt Hat Feel / Bad 7” Bad -> The Face of God
  • BDN No Salvation 7”/10” No Salvation
  • BDN Why 12” Why
  • Never again
Für alle, die diese Veröffentlichungen versäumt haben ein erfreulicher Umstand, und da sich die Stücke gut in das Gesamtwerk einfügen, stört es auch nicht weiter. Okay, vielleicht hätte es  auch eine 2CD/3LP-Box getan; andererseits dürfte BRIGHTER DEATH NOWs "Very Little Fun" so die erste "Best-Off-Veröffentlichung" sein, die zu zwei Drittel aus Neuem besteht.

Die neuen Lieder sind wieder recht typisch Karmanik. Er nannte es einmal "Death Industrial", das besondere Merkmal ist ein überwältigender, an (Todes)Maschinen erinnernder Sound. Mit diesem Stil wird etwas gebrochen, es kommen desöfteren ambientartige Soundflächen zum Vorschein. Die einzelnen Lieder wirken sehr minimalistisch in ihren Soundquellen, es gibt in den meisten Liedern nicht viel Abwechslung, was einige Tracks etwas langgezogen wirken läßt.
Anspieltipps für die Box ist CD 1: Track 2 für die minimalistische Art und Track 9 für die "normale" maschinelle Art der Musik von BDN. Rhythmischen Techno findet man nicht auf den CDs, so dass sich die Jünger der neuen "Industrial"-Dancefloor-Bewegung sicherlich bei dieser Musik nicht wohlfühlenwird . Für alle Menschen, die sich an Atonalität und zur Not auch mal an einer Baustelle vor, über oder unter ihrer der Wohnung erfreuen können, für alle, die Geräusche wirklich lieben, sollte die Sache wiederum ganz anders liegen.

Erhältlich sind die Boxen bei Tesco-Organisation. Die 4-LP-Box ist Limitiert und sicherlich bald ausverkauft.

Montag, 17. Oktober 2011

Schädelkult - Ausstellung


Ahnenschädel aus Neuguinea
© Reiss Engelhorn Museum






Faszination Schädel
Die Reiss-Engelhorn-Museen in Mannheim präsentieren ab dem 2. Oktober 2011 in einer internationalen und einzigartigen Sonderausstellung die wohl größte Schädelsammlung weltweit. Von jeher übt der menschliche Schädel in allen Kulturen eine faszinierende Anziehungskraft aus, der sich der Mensch nur schwer entziehen kann.
Unter den über 300 Ausstellungstücken befinden sich Kopfjägertrophäen, Schädelreliquien, oder Schmuck und Gefäße aus Schädeln. 
Einige besondere Exponate stammen aus der Sammlung des deutschen Künstlers und Darwinisten Gabriel von Max (1840-1915). Große Teile dieser Sammlung galten lange Zeit als verschollen, bis sie 2008 in Freiburg wiederentdeckt wurden.

Reiss-Engelhorn-Museen, Mannheim
2. Oktober 2011 bis 29. April 2012  

"Als der Satan laufen lernte" Hörspiel




"Als der Satan laufen lernte" - Dienstag, 25. Oktober 2011, ab 23 Uhr in 1LIVE Plan B.
Das Hörspiel steht nach der Sendung befristet zum kostenlosen Download zur Verfügung.

Pressetext: (...) Für viele Menschen war LaVey der gefährlichste Mann der Welt, für andere nur ein Scharlatan. Viel Handfestes ist über ihn nicht bekannt, da er ein Meister darin war, sich mit Legenden und Halbwahrheiten zu umgeben. "Als der Satan laufen lernte" führt von der Gründung der Church of Satan über Stationen in LaVeys Leben bis zum modernen Satanismus des neuen Jahrtausends. Welchen Einfluss hatte und hat dieser High Priest of Satan wirklich auf Popkultur und Gesellschaft?

von Edwin Brienen
Regie: der Autor
Produktion: WDR 2011
Länge: 53 Minuten
Redaktion: Simon Kamphans

Edwin Brienen, geboren 1971 in Alkmaar/NL, war Radiomoderator beim niederländischen Radio VPRO und Moderator der TV-Show "Ultra Vista!“. Im Jahr 2000 drehte er seinen Debutfilm "Terrorama!“ und arbeitet seitdem erfolgreich als Filmregisseur. "Als der Satan laufen lernte“ ist sein erstes Hörspiel.

Einslive, Website zur Sendung.

Temporärer Download

Samstag, 8. Oktober 2011

MILITIA – Power, Production, Propaganda

In den letzten Jahren übten sich MILITIA in Zurückhaltung. Die 2005 veröffentlichte CD "Everything Is One" sollte eine Art Abschluss der Statement-Trilogie darstellen und wirkte im Vergleich zu einigen der vorhergehenden Tonträger geradezu hoffnungsvoll und hell. Vorausgegangen war 2003 das offizielle Mission-Statement "Eco-Anarchic Manifesto", welches neben einem längeren Essay zum Titelthema auch Liveaufnahmen präsentierte. Nach längerer Sendepause erschienen dann 2010 mehrere Compilations, die den Boden für die Veröffentlichung des ersten neuen MILITIA-Albums (und damit den Beginn eines neuen Zyklus) bereiteten. Nun schwimmen MILITIA, was Interesse und Rezeption angeht obenauf. So widmete sich Herr Mikko Aspa in der letzten Ausgabe seiner Hauspostille Special Interests persönlich den Belgiern und hielt gemeinsam mit ihnen gleich mal Rückschau auf das gesamte Werk der Band. Auch live ist die Gruppe extrem umtriebig und spielte dieses Jahr im Rahmen des WGT.

"Power, Production, Propaganda" kommt also wie gerufen. Titel und Artwork des ersten, rein digital produzierten Albums der Gruppe erinnern an den sozialistischen Realismus bzw. an die kommunistische Plakatkunst aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Der Opener "New Statement" beginnt mit einem für MILITIA typischen Keyboard-Loop, gefolgt von ebenso MILITIA-typischer Metallperkussion. Begleitet wird dies von orientalisch wirkenden Samples und einem Ethno-Gesang, der deutlich auf Kontexte außerhalb des westeuropäischen geprägten Rahmens von Sozialismus / Kommunismus verweist. Inhaltlich passt das dennoch hervorragend, orientiert sich doch der propagierte Öko-Anarchismus auch immer wieder an dem, was im Wissensjargon westeuropäischer Prägung gern als "primitive Völker" bezeichnet wurde. Gegen Ende tritt Herr Gorissen persönlich ans Mikro, um ein paar inhaltliche Schlagworte zum Besten zu geben. Auch Track 2 beginnt mit Ambientflächen, die alsbald perkussiv begleitet werden und über die sich (offenbar gesampleter) Frauengesang legt. Böse Menschen könnten hier an Ofra Hazas "Temple Of Love"-Version denken, alle anderen fühlen sich eventuell an eine weniger komplexe Version von Brian Enos und David Brynes Klassiker "My Life In The Bush Of Ghosts" erinnert. Ja, eigentlich klingt das genau so, zumindest mehr als nach den alten MILITIA. Auch nach dieser Nummer geht es mit Ethnogesängen und langen tranceartigen Perkussionnummern weiter. Zu "The Undeniable Power Of The Proletariat" hört man wieder indigene Gesänge aus der großen Sammlung der Stimmen der Welt, es folgen Keyboardflächen und wuchtige Schläge. So gehen in den besten Momenten des Albums außer-europäische Folklore und das visuelle wie ideologische Vokabular des Sozialismus eine äußerst spannende Symbiose ein. Nach einem kurzen Eingangsstatement hört man Gorissens Stimme erst wieder ab circa der Hälfte der Platte. "The Conquest Of Steel" bietet monotonen Beat und Metallklänge, Marschfragmente flirren ein und aus. Erst mit "Abrupt Climate Change" kehrt ein wenig Ruhe und Atmosphäre ein. Der Song wirkt latent bedrohlich, ist allerdings nichts Besonderes. Der Track "The Final Level" erinnert gegen Ende dann wieder an " Everything Is One" und lässt das Album ausklingen.

MILITIAs erste neue Platte nach der längeren Pause mag kein direkter Klassiker wie "The Black Flag Hoisted" sein, aber die inhaltliche (öko-anarchische) Umarbeitung sozialistisch-kommunistischer Konzepte ist ein ebenso spannender wie hörenswerter Ansatz. "My life in the bush of socialist ghosts" könnte man die Platte nennen. 
Fazit: Ein eher solides Combeback mit einer für die Industrialszene herausragenden konzeptionellen Ebene.

Montag, 12. September 2011

30 Years of Broken Flag

Ramleh, The New Blockaders, Controlled Bleeding, Prurient, Skullflower, JFK, Kleistwahr, Sewer Election and lots more :

London 4th - 6th May 2012. 

Full programme, line-up and ticket details soon.

BROKEN FLAG RECORDS


Mittwoch, 10. August 2011

Forumsrückblick Juli/August 2011

Ein hemmungslos subjektiver Rückblick von Maik L. (Redaktion)

NONONPOP hat sich inzwischen als Forum etabliert, viele Pläne für die Zukunft sind gemacht. Jetzt ist es an der Zeit auch die redaktionelle Seite auszubauen. NONONPOP wird ab jetzt circa alle 8 Wochen einen Forenrückblick präsentieren. Aus den vielfältigen Interessen, Funden und Obsessionen der Forennutzer entsteht so eine subjektive Auswahl mit dem Mut zur Lücke. Präsentiert und vorgestellt werden dieses Mal je maximal 3 Titel in den Rubriken: Neue Platten, Wiederveröffentlichungen, Bandcamp & Co., Lesestoff, Das bewegte Bild, Konzerttipps. Aktualität ist dabei zwar angestrebt, aber im Zeitalter des totalen Infozids einfach überhaupt kein letztgültiges Kriterium.

Neue Platten 

PESTE NOIRE – L'Ordure à l'état Pur
„Ein auf ganzer Linie mitreißendes Black Metal-Machwerk mit Mut zum Blick über den Tellerrand.“ (boyd)
„Machwerk“ – das markiert sehr gut das Collagierte, Montierte an der neuen Platte des französischen Black Metal -Projekts PESTE NOIRE. 

Louis-Ferdinand Céline im Jewelcase

Deren bekanntes Widerspiel von mittelalterlichen, melodiösen Passagen und dreckigem Schwarzmetall-Geknüppel, klarem Gesang und Famine’s Rotzstimme wird auf "L'Ordure à l'état Pur" erweitert durch elektronische Experimente und vermehrten Einsatz von Sample-Technik. Und so sehr Famine nationalistisch für ein imaginäres Frankreich rotzt, gröhlt und trällern lassen mag, so sehr verdankt sich seine musikalische Ausnahmeposition diesen Schnitten und Brüchen, auch wenn das Album an vielen Stellen kurz vor dem Auseinanderbrechen steht. Beim französischen poète maudit Céline hielten irgendwann nur noch die berühmten drei Pünktchen die Aufschüttung an Material, Ekel und Geschichte(n) zusammen, da ist es durchaus folgerichtig, dass sein Portrait im Inneren des Albums abgedruckt ist. „Jetzt schon ein heisser Anwärter auf das Album des Jahres 2011! Anspieltipps? Das ganze Album natürlich.“ (boyd)



PAUL ROLAND – Grimm
„I will return to nevermore, I must go back to nevermore…“ : Grimms Märchen bieten nicht nur Material für schlechte, neopuritanische Comics im High-Heels-Look und amerikanische Blockbuster-Movies. Auch der britische Musiker PAUL ROLAND greift auf seinem neu erschienen Album "Grimm" Geschichten und Märchen auf, die vom gleichnamigen Brüderpaar zusammengetragen und –gestellt wurden. Mit Freud und Poe geht es auf eine Reise durch die deutsche Märchenwelt, deren illustratives Pendant – die Zeichnungen Arthur Rackhams – denn auch das Artwork der Platte verzaubert. Genauso lieblich, verschroben, verführerisch und manchmal abgründig wie dessen Zeichnungen sind die von Rolands akustischem Gitarrenspiel und seiner eigentümlichen Stimme getragenen Songs. Unterstützt wird er dabei von den Stimmen seiner beiden Söhne Michael und Joshua, die immer wieder um neue Geschichten bitten sowie der stimmlich perfekt zum Material passenden Sängerin Rosie Eade. Wer mit "A Cabinet of Curiosities oder Happy Families" viel anfangen konnte, beide Minialben vielleicht sogar zu den gelungensten der Rolandschen Diskographie zählt, sollte hier keinen Fehlgriff befürchten und dem Album eine Chance geben. Zwar fehlt natürlich die barocke Instrumentierung und die Songs sind weniger quirlig ausgefallen, doch hat Roland die Atmosphären wunderbar gestaltet, dem Material eine oftmals schwebende Stimmung gegeben und eben jenen Tonfall getroffen der der Erinnerung an Märchen eigen ist. Für 13 Euro inkl. Versand kann "Grimm" bei Syborgmusic bestellt werden.



SOL INVICTUS – The cruelest Month
Nach Ewigkeiten ein Album von SOL INVICTUS. Und obwohl einzelne Songs wie "Bad Luck Bird" bereits bekannt waren, überraschen die dreizehn Nummern: SOL INVICTUS haben das Dissonante für sich entdeckt, eine perkussive und melodische Wucht, die sich dank eines außergewöhnlichen Mixings nie in eine Wall of Sound verwandelt, sondern die einzelnen Momente auseinander treten und doch zusammen klingen lässt. Was die einen kritisieren, stellt unserer Meinung nach das große Kapital des Albums dar. Nie wird "The cruelest Month" monumental oder pathetisch, sondern es bleibt melodiös, dissonant und fragil. Neben Wakeford, der als Sänger immer differenzierter zu werden scheint, setzt dabei Andrew King mit einigen längeren Traditionals wesentliche Akzente auf dem Album und sorgt für stimmliche Abwechslung. Es scheint, als ob Wakeford die Erfahrung, die er mit der Produktion des letzten ORCHESTRA NOIR  Albums "What if…" machte nun auch für SOL INVICTUS produktiv werden lässt. Eine gute Wahl, stellt "What if…" doch eines der Highlights des letzten Jahres dar.
"The cruelest Month" ist jedenfalls das beste und überzeugendste Album aus dem Umkreis der alten World Serpent Familie. Still und heimlich hat sich der klang- und songwritingtechnisch von seinen Weggefährten vielleicht konservativste Wakeford zum innovativsten und produktivsten des alten Triumvirats entwickelt .

Wer an elektronischeren Klängen Interesse hat, möchte vielleicht dem Projekt OWLS mit Wakeford, Bernocchi und Fornasari ein Ohr leihen: OWLS bei Facebook
 

Wiederveröffentlichungs-Special

VA – I don’t feel at home in this world anymore
Besondere Aufmerksamkeit möchten wir an dieser Stelle auf die schon länger erschienene phantastische Kompilation "I don’t feel at home in this world evermore" richten. Während durch die Globalisierung verängstigte Mittelschichten auf ideologische wie materielle Besitzstandwahrung zielen, haben sich Missisippi Records mit der Herausgabe dieses Samplers um die Geschichte der Diaspora, der Migranten und Immigranten verdient gemacht.
 Lars: „antike Migranten-Musik neben der Spur - herzzerreißend ...“
 Im Zwischenraum der Immigrantenkultur entstanden noch heute beeindruckende Aufnahmen, Dokumente des Nicht- oder Noch-Nicht-Angekommen-Seins in der neuen Welt. Wo die politische Wirklichkeit Grenzen setzt, erfindet das Sentiment Zonen der Sehnsucht, der Trauer, der Nostalgie. "I don’t feeld at home in this world anymore" macht diese Lieder wieder einem breiteren Publikum zugänglich. Eine Zeitreise mit Spuren bis in die Gegenwart.

Weiterführende Links: Viceland




Andere Wiederveröffentlichungen

DEATH IN JUNE: Nada Plus!
In Abwesenheit neuer Ideen bringt Douglas P. mal wieder eine Platte aus dem Backkatalog neu heraus. Diesmal an der Reihe: Nada! Zugegebenermaßen ein Klassiker, denn zu Nada!-Zeiten waren DEATH IN JUNE noch keine langweilige Neofolkband, sondern verbanden ihren Postpunk-Sound mit tanzbaren Dancefloor-Rhythmen. Ein heterogenes und gerade aus seiner Heterogenität Energie schöpfendes Album, jetzt neu zugänglich gemacht.
„Die Aufmachung ist wirklich schön: Klappcover, Prägedruck, schönes Artwork, ein paar Bonustracks. Die limitierte blaue Version ist dann noch in so einer Art silberner Plastikfolie eingeschweißt, die man extra aufschneiden muss, um an die Platte ranzukommen.“ (elling)
Für Vinyl-Liebhaber bleibt jedoch ein Wermutstropfen: „die Pressung (zumindest meine Kopie auf Blauem Vinyl) ist so dermaßen unter aller Sau...“ (elling again).

Weiterführende Links: DEATH IN JUNE

TELLUS 
Nicht unbedingt eine Wiederveröffentlichung im klassischen Sinne, aber dennoch: TELLUS war ein von 1983 bis 1993 existierendes Kassetten-Magazin für experimentelle Klangkunst. Jede Ausgabe widmete sich einem anderen Schwerpunkt.
Doch nicht nur High Brow Culture spielte eine Rolle, TELLUS-Ausgabe 13 widmete sich (seltsam genug) den Themen Power Electronics und Industrial. Teilnehmer waren u.a. MERZBOW, BLACKHOUSE, CONTROLLED BLEEDING, COUP DE GRÂCE und LE SYNDICAT.
Die inzwischen natürlich komplett vergriffenen TELLUS-Ausgaben sind inzwischen sämtlich auf UBU als Downloads verfügbar. TELLUS lädt auch noch im Jahr 2011 zu vielfältigen und überraschenden Entdeckungsreisen ein.

Weiterführende Links: Tellus Audio Cassette Magazine 




Bandcamp & Co.

MIND OVER MIRRORS
MIND OVER MIRRORS ragen aus den auf Bandcamp sich tonnenweise befindenden Bergen an öder und düdeliger Ambientmusik heraus. Nur auf einem Harmonium basierend, sind ihre Songs ein Anspieltipp für alle Fans von CURRENT 93s "Sleep has his house"-Album. Digitalisrecordings

RICHARD SKELTON – The complete landings
Noch einmal Ambient, vielschichtige Drones. Track 1 ist ein sich langsam steigender, epischer 40 Minuten Wälzer mit metallischer Background-Perkussion und Nebelhornsound. Auch die restlichen Nummern halten durchgängig das hohe Niveau von Sounddesign und Dramaturgie, manchmal an gute ECM Platten erinnernd.
Aeolian

MAZAKON TACTICS – Live
Live-Aufnahme des deutschen Death Industrial und Power Electronics Projekts MAZAKON TACTICS. “The artists played in an abandoned factory, later about 150 - 200 guests were there.” Vocals, Song-Dramaturgie und Sound stechen aus dem Durchschnitts-Krach einer oft langweiligen Szene durch Vehemenz und Differenziertheit heraus. Der Live-Mitschnitt ist ein offenes Ohr wert.
Chindogu


Lesestoff

Special Interests # 6
Mikko Aspa gilt einigen im Forum als Mann der Stunde. Wenn der Herr nicht gerade in mehreren, inhaltlich oft mehr als zweifelhaften Black Metal und Industrial/Power Electronics-Formationen aktiv ist, stemmt er nebenher einen Mailorder, mehrere Plattenlabels und betreibt das Zine Special Interests inkl. angeschlossenen Forum. In die dreckigen Fußspuren des Vorgängerheftes FREAK ANIMAL getreten, hat sich das Heft über die ersten 5 Nummern massiv entwickelt und bietet von Leif Eldgren bis hin zu Taint und Co. einen singulären Zugang zu unter-schiedlichen Formen „extremer“ elektronischer Musik mit eigenem Stil und eigener Haltung. Nummer 6 legt nun nochmal an Umfang zu, der dann auch gleich inhaltlich genutzt wird: so interviewt Aspa die belgischen Öko-Anarchisten Militia zu ihrer kompletten Diskographie, Boyd Rice kommt in einem Telefongespräch zu Wort und GX Jupitter-Larsen (THE HATERS) steuert einen Kassetten-Artikel bei.
Special Interests

The Slayer Mag Diaries 
Coffeetable-Culture für Schwarzmetaller und Nononpopper: ein persönlicher und zugleich historischer Rückblick auf 25 Jahre Metallerdasein. Dabei hat Slayer-Harausgeber Metallion nicht nur die Entwicklung von Thrash Metal, Death Metal und Black Metal als aufmerksamer Beobachter und Fan begleitet, er hat die Explosion des Norwegischen Black Metal als nächster Zeuge, Wegbegleiter von MAYHEM, BURZUM etc. miterlebt und in seinem Heft reflektiert. Inkl. „Linernotes“ des Herausgebers und vielen, vielen Slayer-Mag Faksimiles, stellt The Slayer Mag Diaries eine Liebeserklärung an und auch einen Abschied vom metallischen Untergrund dar. Angesichts des massiven, 700+ Seiten umfassenden Bandes im perfekt designten Hardcover stellt dabei der Preis von circa 25 Euro einen Witz dar. Interviewtechniken und Layout bieten mal einen Rückblick in pubertäre Magnifizienz, mal Einblick in fortgeschrittene Könnerschaft. Essentiell und oft auch berührend. Oder mit Metallion gesagt: HELL YEZZZZZZ!





Das bewegte Bild

Iconoclast
Larry Wessels longgoing project DER ultimativen Boyd Rice Dokumentation hat ihren Abschluss gefunden und die Community hat es mit Zustimmung quittiert. „Mal ganz privat auf dem heimischen Sofa oder beim Schnupftabak-Kauf. […] Dürfte schwierig werden noch ein Exemplar der Box zu ergattern, aber es lohnt.“ (boyd) Was "Mr. Total War" so treibt wenn er nicht gerade Platten aufnimmt, Bilder malt oder Bücher schreibt, zeigt die 4 stündige DVD in allem Glanz und aller Glorie.



Mario Bava - Maestro of the Macabre 
Beim Stichwort (haha) Giallo denkt normalerweise jeder an Dario Argento. Die Dokumentation „Mario Bava – Maestro oft he Macabre“ aus dem Jahr 2000 bringt dem interessierten Cineasten einen anderen italienischen Meisterschlitzer nahe. Horizonterweiterung in Sachen Kino.



People Who Do Noise
Eigentlich ein selbsterklärender Titel: Interviews und live Material mit Aktivisten der Noiseszene Portlands. U.a. von Smegma, Daniel Menche Oscillating Innards und vielen anderen. Reinschauen lohnt sich allemal.



Konzertankündigungen

BLOOD AXIS
Für viele, denen der "SiA" lieb und teuer geworden ist, sicher ein Highlight: BLOOD AXIS geben gemeinsam mit ANDREW KING und BARDITUS am 20.08.2011 ihr einziges Deutschlandkonzert im Rahmen einer kurzen Tour. Ein bisschen müde Diskussionen gab es im Vorfeld auch. Theaterfabrik Leipzig


Tower Transmissions I
Am 17. September präsentiert Tower Transmissions in Dresden zum ersten Mal in Deutschland die kultige britische Power Electronics Formation RAMLEH sowie nach langer Zeit wieder einmal Philip Best mit seinem  Projekt CONSUMER ELECTRONICS. Eine Handvoll weiterer Gruppen rundet das Programm ab.
Tower Transmissions



BURIAL HEX, Sudden Infant
Die Necro-Ambient Vorkämpfer BURIAL HEX spielen mit den geistig immer ein wenig verworren wirkenden Sudden Infant am 3. November im Neukölner NK. Mehr Infos zu NK hier.

Donnerstag, 21. Juli 2011

Musik als Waffe

Relativ aktuelle, sehenswerte Arte-Dokumentation von 2010

"Ob preußischer Marsch, afrikanischer Kriegstanz oder ohrenbetäubende Heavy-Metal-Musik - seit es Krieg gibt, wird er von Musik begleitet: Klänge und Rhythmen sollen Kämpfer in einen Blutrausch versetzen oder Gegner zermürben. Letzteres schafft sogar ein niedliches Kinderlied, wenn es in einer Endlosschleife und entsprechend laut gespielt wird. Als Christopher Cerf, Komponist von über 200 Liedern für die Kindersendung "Sesamstraße" davon erfährt, ist er fassungslos. Gemeinsam mit Filmemacher Tristan Chytroschek will er vor Ort erfahren, was seine Lieder und andere Musik mit Gewalt, Folter und Tod zu tun haben." (Auszug aus dem Pressetext)

 
Kinderlieder & Crossover zwischen 
Stacheldraht & Pritsche.


 
Die fleissigen PSYOPS zeigen dem Vietcong,
was "psychedelische Tonkunst" bedeutet.


 
Vom Vor- oder Nachteil zwischen Metallica und 
Marilyn Manson unterscheiden zu können ...


 
Die Technik wird immer ausgefeilter -
die Nachfrage ist gestiegen ...

Montag, 13. Juni 2011

CUT HANDS - AFRO NOISE I

Afrika muss das erste Wort lauten. Afrika ist hier in jedem Zusammenhang das Schlüsselwort. Rein faktisch: Dieses vorwiegend sehr perkussiv orientierte Album wurde (u.a.) mit einer Vielzahl von afrikanischen Instrumenten eingespielt; der Macher William Bennett verbindet konkrete, afrikanische Bilder und Ereignisse mit der Musik; die Song-Titel sind voll der Namen und Referenzen; und überhaupt, was wollen wir lange drum herum reden: kann es noch eindeutiger werden als "Afro-Noise"?

In dem Projekt CUT HANDS kulminiert also das nahezu obsessive Interesse für Afrika, mit dem Bennett seit über einem Jahrzehnt seine Vita schmückt wie andere den heimischen Eingangsbereich mit einem zum Schirmständer umfunktionierten Elefantenfuss. Hartnäckig hält sich das Gerücht, er hätte die mutmaßliche Kompilation “Extreme Music From Africa” 1997 nicht nur zusammengestellt und auf seinem Label, Susan Lawly, herausgebracht.
Compilation oder Hoax?
Vielmehr soll er das Album auch selbst eingespielt haben, zumindest teilweise. Natürlich kann hier auch die weltgrösste Datenbank discogs.com nicht wirklich weiterhelfen (Stichwort: Awesome Tapes from Africa). Unter den Millionen von Discogs-Einträgen finden sich für jeden EMFA-Interpreten bis auf einen keine andere Veröffentlichungen, nur die besagte Compilation. Nun soll es angeblich Menschen geben, die Menschen kennen, ... Wer will’s wissen? Dennoch ist festzuhalten, dass “Extreme Music from Africa” etwas anderes ist als Afro-Noise, und umgekehrt; Bennett besteht darauf, dass er mit CUT HANDS keine afrikanische Musik macht - vielmehr handelt es sich eben um Afro-Noise, und der besteht nach seiner Definition aus “obscure African percussion elements in free-form work-outs with almost any other type of (genuine) sound experimenting.”

Zur Jahrtausendwende folgten bereits erste Aktivitäten unter dem Namen CUT HANDS - hier mal ein DJ-Auftritt, dort mal ein Track oder ein fulminater Mix. Bevor Bennett jedoch nach achtjahrelanger Arbeit und diversen Drum-Workshops Ende Mai 2011 endlich ein Album unter dem Namen veröffentlichen sollte, schüttete er als Chef der englischen Power Electronics-Pioniere WHITEHOUSE mit den CUT HANDS-Tracks “Munkisi Munkondi” und “Bia Mintatu” auf den letzten Whitehouse-Alben “Bird Seed”(2003) und “Racket”(2007) noch mal ein paar Gallonen Öl ins Feuer. Giftig verrauchte Appetithäppchen, die Lust auf mehr machten. Auf “Bird Seed” warnt zusätzlich ein Songtitel: “Cut Hands Has the Solution”. Mehr geht nicht. Lösungen wollen wir alle. Es müssen ja nicht immer finale sein ...

Auch ohne das alles verfolgt zu haben, erschließt sich das schreckliche Faszinosum dieses Projekts ziemlich schnell. Ein Bandname wie CUT HANDS gibt im Beiklang konkretere Bilder vor. Es sind nicht die Afrikabilder mit den lustigen Farben und den lachenden Negern. Auch nicht die hungernden Babies. Und natürlich auch nicht der “Edle Wilde” wie ihn die Riefenstahl fotografiert hat, wo kämen wir denn auch dahin. Wenn das Afrika von CUT HANDS die Wiege der Menschheit ist, tobt gerade ein besonders fieser, fleischfressender Virus über die Wöchnerinnenstationen. Kein schöner Anblick.

The Lords resistance Audio
Während Stefan Danielsson in seinen kunstvollen Collagen für WHITEHOUSE den afrikanischen Horror mit einem nostalgischen Voodoo-Sepiaschleier abtönt und schon qua Technik Post-Kolonialismus mit den Dämpfen aus der Uhu-Tube eingesogen hat, erweckt der “Vice-Guide to Liberia” mit einigen CUT HANDS-Tracks im Soundtrack erschreckend aktuelle Bilder von Ungeheuerlichkeiten zwischen Kannibalismus und Genozid. Dieser vorbehaltlos sehenswerte, knapp einstündige Doku-Thriller ist eine Mischung aus Heart of Darkness/Hearts Of Darkness (dem Roman und der Doku ), "Cannibal Holocaust" und "Africa Addio" ohne den Trash-Faktor. Initialzündung war ein Text über Sierra Leone, den Bennett für das englische BIZZARE-Magazin geschrieben hatte als dort der jetzige Vice-Mitarbeiter und Filmemacher Andy Capper noch als Redakteur tätig war.

Kiss of the butterfly, Liberian-Style
Die Bilder aus Liberia, die uns der Film wie Narben in die Erinnerung treibt, verraten mehr über die Musik als jedes Wort. Das ist auch mehr als Exploitation, Splatter-Exotismus oder Mondo in einer Pervertierung des Camp-Gedankens. Wie antwortet der Sohn so schön in Robert Longos Video für “Peace Sells But Who’s Buying” auf die Aufforderung seines Vaters, den Scheiss aus- und die Nachrichten einzuschalten: "This IS the news!" Fairerweise sei hinzugefügt, dass man das mit demselben Recht und einer unterschiedlichen Perspektive auch anders sehen und verstehen kann.

Wie Power Electronics muss Afro-Noise vorzugsweise in ohrenschädigender Lautstärke gehört werden. Das ist ein Klischee, es zu betonen ist ein Klischee aber während es unter Umständen noch möglich wäre, über die Qualitäten von ambientös leisen Power Electronics zu diskutieren, erübrigt sich das zumindest für den Afro-Noise auf CUT HANDS. In einem Interview, das Bennett für die, Überraschung!, Vice gegeben hat, versucht er seinem Gegenüber, Überraschung!, Andy Capper die Wirkung der Musik zu vermitteln: “First you feel a tingling sensation, followed by palpitations, and finally, frothing at the mouth. Actually, I’m not making that up. At industrial-strength volumes this stuff will take you over. My own unproven theory is that the brain, usually so adept at recognising musical patterns, can’t keep up with the increasingly complex polyrhythms. You run out of body parts to move and then it invades your mind and creates an altered state.”

Ja-nö, jetzt nicht gerade exakt “altered states”, kann man nicht behaupten. Oder doch. Wir probieren es noch mal:

1. Welcome To The Feast Of Trumpets
Etwas handlahmes Geklopfe, dazu eine Art entschärftes Kreissägen-Inferno und ein paar moody Flächen. Mit gut 2 Minuten eher eine Intro - wie der Rest des Albums “handgespielt” - no loops, no sequencer, no samples ...

2. Stabbers Conspiracy
Das Dingeln setzt ein und nimmt zusammen mit dem Geklopfe Fahrt auf - erinnert stellenweise an den etwas aggressiveren Gamelan wie man ihn aus Bali kennt - so hätte der von Eckart Rahn 98er im Aladdin Pachinko Parlour, Shinjuku, Tokyo, aufgenommenen Field Recording/Noise-Klassiker “Pachinko In Your Head” gern klingen dürfen ...

3. Rain Washes Over Chaff
Regen auf dem Blechdach. Dunkel dräuende Akzente, die aus unerklärlichen Gründen manchmal, das wird dem William bestimmt nicht recht sein, an RAMLEH erinnern, die Stimmung legt mit THROBBING GRISTLE sicherlich ähnlich ungewollte Referenzen nahe ... Erstaunlich zahm, ein geheimer Hit ...

4. Nzambi Ia Lufua
Bei Zimmerlautsärke: Müdes Gefiepe und Gedöhns. Bei Flugzeughanger-Lautstärke: Intensiver, stechend nervender als 90% der VÖs von Merzbow - wie hiessen noch mal die (Post)Industrial-Quälgeister mit diesen schrillen Frequenzen, DOMINATOR? Egal, so ähnlich nur noch nerviger ...

5. Who No Know Go Knows
Beginnt verstolpert, entwickelt sich aber rhythmisch zum Ohrwurm - wenn man William weiter nerven will, kann man jetzt getrost damit anfangen, die frühen 23 SKIDOO herbeizuschreiben ...

6. ++++ (Four Crosses)
Kosmisches Synthie-Genudel. Das Weltall als Diaspora. Space is the place.

7. Backlash
Leider mit 1.54 min viel zu kurzes, klöppelndes Delay-Drama mit silbrig schimmernden Texturen. Kann man auf Repeat insbesondere mit der Funktion “Titel überblenden” (Indealwert: 6 Sekunden) fantastisch den ganzen Tag als Dauerloop hören. No Loops? Eat dis, William!

8. Shut Up And Bleed
Schrillofant! Von Altered States immer noch keine Spur, dafür klingeln die Ohren (mit). Im Hintergrund versucht Bryn noch mal die Poly-Rhythmik à la MUSLIMGAUZE zu veranschaulichen, aber Bennett hört ja wieder nicht ...

9. Munkisi Munkondi
Der Unterschied zur WHITEHOUSE-Version ist etwas für echte “Expert Knob Twiddler”- als neue Version eher unnötig, die Vocal-Spur bleibt dennoch die Macht!

10. Impassion
When The Gospel Comes To ... Liberia? Sehr schön und irgendwie, nahezu *hüstel* virtuos? Könnte als RMX in den Händen von tollkühnen DJs gleichzeitig aufrütteln und sedieren, das wäre doch auch mal eine interessante Droge, der Speedball für die Ketamin-Massive ...

11. Ezili Freda
Mambo Ezili Freda Daome aka Maîtresse Mambo Erzulie Fréda Dahomey ist den Anhängern des haitianischen Vodou, was die Geheiligte Jungfrau Maria als Schmerzensmutter (Mater Dolorosa) den Katholen ist. Dafür klingt der Track relativ amorph, man könnte schwören, eine Drumbox zu hören und zum Schluß gibt es noch ein paar käsige Preset-Geräusche wie aus der Laserkanone - seltsam.

12. Bia Mintatu
Durchdachter, dynamischer Track mit interessanten Steigerungen, gerade in der Mitte, wenn es voller wird - aber die minimal brutalere WHITEHOUSE-Version hätte auch gereicht.

13. Rain Washes Over Every Thing
Kleine Endmeditation ohne Percussion - verbreitet noch etwas dystopische, vage ungemütliche Stimmung zum schnellen Abschied.

Fazit
Mit insgesamt 50 Minuten Spielzeit und angesichts der beiden bereits veröffentlichten Songs ist das Album etwas kurz und im Vergleich mit dem o.g. Mix etwas harmlos - umso gespannter darf man auf das folgende Material sein, vorausgesetzt Bennett lässt uns nicht wieder so lange warten.

Die CD "Afro Noise I" von CUT HANDS ist am 23.Mai 2011 auf Susan Lawly erschienen, eine Vinyl-Version soll in Kürze folgen.

Sonntag, 29. Mai 2011

XIU XIU – Pathosformeln aus der Kampfzone

Sieben Versuche einer Annäherung

Hype/Öffnung
Irgendwo im Niemandsland zwischen verschüttetem NewWave-Pessimismus, nervösen Beats, harschem Noise und intimem LoFi Singer-Songwritertum existieren die Songs JAMIE STEWARTs und seiner MitstreiterInnen.
Nachdem sein Vorgängerprojekt TEN IN THE SWEAR JAR das Zeitliche gesegnet hatte, entstand im Jahr 2000 dieses seltsame Ungetüm, diese Wunschmaschine namens XIU XIU. Benannt wurde sie nach "Xiu Xiu: The Sent-Down Girl", einem chinesischen Film, welcher ganz bestimmt sehr traurig, sehr trist und sehr schön ist. Ganz kurz gesagt, geht es in diesem um eine in der chinesischen Provinz zur Zeit der Kulturrevolution gestrandete junge Frau, ihre Liebe und den Missbrauch, welchem sie ausgesetzt ist. Vielleicht ist der Film auch nicht schön, sondern einfach nur realistisch, was die Vergegenwärtigung von Verzweiflung im den Zeichen des ländlichen Melodramas angeht.

Die zweite Inkarnation des traurigen jungen Mädchens erfolgt freilich in einem gänzlich anderen Milieu. Ihre Musik besetzt einen sperrigen Raum, geprägt von harmonischem 80er Jahre Pop, rauschenden Industrial-Anleihen, dissonantem Ambient und emphatischem Indierock, welcher affektiv wie ein Kammerorchester und abstrakt wie ein Abend serieller Musik funktionieren kann, während er jederzeit auf zweifelsfreie Art urban ist.
In den sieben Jahren ihres Bestehens hat die Band exakt fünf reguläre Alben veröffentlicht, weiterhin eine Live-LP, viele Singles und einige kürzere, wie auch längere, Zusammenarbeiten mit illustren Künstlern wie MARISSA NADLER, DEVANDRA BANHART, GROUPER oder LARSEN "verbrochen". Man sieht: Sammler kommen hier auf ihre Kosten.

Dabei existiert eine fühlbare Differenz zwischen der Blog-Hype-Euphorie, mit welcher jede ihrer Platten erwartet und hochgejubelt wird, und der ganz konkreten relativen Unbekanntheit der Band. Beinahe zeitgleich stellt sich natürlich die Frage: ist das wirklich so gut? Just remember Mediengruppe Telekommander: „Vorsicht, ein Trend geht um“. Aber da es ja auch ein Trend ist, gegen den Trend zu sein, wollen wir uns in die Höhle des Löwen begeben und zuhören.

Alles kann zusammenstürzen

In XIU XIU’s Welt erhält ein minimalistisch, straigther Popsong wie "The Fox & The Rabbit" genau so viel Kredit wie das experimentell, verzerrte "Saturn": da kann alles in ein oder in einem Lied zusammenstürzen. So folgt in "Bishop, CA" auf die skeptisch-hingebungsvolle Zeile „crying for the stupid world we share“ ein entrückter, verhallter Refrain, nur um wieder in perkussiver, orchestraler Dissonanz sein jähes Ende zu finden.
Und dann gibt es ja nicht nur das inzwischen „jährliche“ neue Album, sondern, wie bereits erwähnt, auch eine Vielzahl musikalischer Zusammenarbeiten, mal ins Epische ausgreifend, wie auf "Spicchiology", welches elegisch entrückt Schönheit zelebriert, mal gothisch-abstrakt wie auf "Creepshow", dessen Tracks sich schließlich in passiver Atonalität verlieren.

Songpolitik und Veröffentlichungsfülle legen es bereits nahe: Die Strategie der Künstler ist weder dialektisch noch katastrophal, sie ist (Beinahe? Ohnmächtig? Notwendig?) hysterisch, pathetisch. Und genau dies schützt sie davor in affektierten, postmodernen Eklektizismus abzudriften. Auf XIU XIU-Platten kommt der Begriff "Cut-up" zu seinem eigentlichen Recht – cut up – das muss man ganz wörtlich nehmen, und schon verflüchtigt sich das Phantom der Beliebigkeit. Das Moment des Expliziten – politisch, sexuell, lyrisch musikalisch – widerspricht dem laxen Gestus des "alles halb so wild".
Ein Liedtext wie "Saturn" – in dem die Penetration des US Präsidenten lyrisch imaginiert wird – ist ein solcher Text sexuell oder politisch, ernst gemeint oder ein Scherz? Oder alles zugleich?

George, when it comes to bedtime
my sweetness will not go to waste
i will shoot this arrow right up anus and
you’ll taste what we taste,
i will stab it right through the bottom of your mouth
you’ll taste what we taste
what you make them taste


Zunächst einmal stellt er eine Sexualisierung des Politischen dar, anstelle einer konservativen (ideologischen, weil uneingestandenen, heterosexuell-normierten) Politisierung der Sexualität. Sicher, es muss sich um eine Übertreibung handeln, aber was ist das Spezifische dieser Übertreibung? Vielleicht kann hier nur eine versuchsweise Antwort richtig sein: diese Politik der Privatisierung erinnert am ehesten noch an RAINER WERNER FASSBINDERs Beiträge zu "Deutschland im Herbst", mit ihrer inszenierten und doch schonungslos privaten (und hier wäre zu fragen: schamlosen?) Reaktion gegenüber Terror und Gegenterror im Nachkriegsdeutschland des Jahres 1977.

Erlösung revisited
Wie unpassend: Das Cover des letzten regulären XIU XIU-Albums präsentiert eine klassische ECCE HOMO- Figur. Ein dornengekrönter Gottessohn schaut aus blutenden Augen den Betrachter frontal an: "Sehet, welch ein Mensch". Dabei gilt doch: An nichts denkt man bei diesem musikalischen Selbsterfahrungstrip weniger als an Erlösung oder ein entsühnendes Opfer.

Und dennoch ist in dieser Musik etwas, das ihre Hörer scheinbar nicht verwüstet zurücklässt.
Da leuchtet immer wieder etwas, denn diese Musik ist ein Versprechen und das Dornenhaupt Christi macht dies umso mehr bewusst, je weiter sich die Musik von einer Erlösung im schönen Schein entfernt. Frei nach LEONARD COHEN:

There is a crack in everything
That’s how the light gets in


Ganz konkret bedeutet dies: "The Air Force" ist kein erbauliches Werk und gerade das lässt hoffen. Auf ihm liegt eine gewisse Anzahl von Strategien und Herangehensweisen in komprimierter Form vor - verletzliche, manchmal schwer groovende Disharmonie in theatralischer Überhöhung: Schönheit mit Wunden, nicht Narben.

Musik und Glück
Populäre Musik verspricht etwas, das eigentlich jeden angehen sollte: Glück - und wenn auch nur für einige Minuten oder einen Abend. Dabei handelt es sich um einen genuin, demokratisch-naiven Anspruch, welcher erstaunlich langlebig zu sein scheint. Denn die Tanzfläche war zwar schon für die Postpunker von GANG OF FOUR der Ort, an dem das kulturindustrielle Kapital seinen Profit machte, dennoch mochten gerade diese Herren nicht auf Tanz oder Ekstase verzichten.

Womit wir konkret bei den Versprechungen der Popkultur angekommen wären, die auch für JAMIE STEWART eine entscheidende Rolle spielen oder spielen müssten: Gefühle, Euphorie, Liebe. Ein ganzer Haufen großer Begriffe, die man eigentlich zu kennen glaubt, die sich aber untergründig als unbekannt, da allzu bekannt erweisen. Popmusik trägt derweil nicht zu ihrer Klärung bei, präsentiert sie diese doch stets ordentlich sortiert nach Genres, in Dosen verpackt, in Formen gepresst mit denen leicht umzugehen ist.

Das dabei etwas auf der Strecke bleibt, ist bereits auf den zweiten Blick zu erkennen. Hier geht es um die Distribution und Kommunikation konsumierbarer Affekte und damit beginnt auch bereits das Problem: die Intensität der Gefühle, die Authentizität nach der verlangt wird und welche Popmusik befriedigen soll, widerspricht ihrem inneren Organisationsprinzip. Wenn Authentizität und Affekt zum Zeichen ihrer Selbst werden, ist etwas verloren gegangen, das vielleicht nicht so leicht zurück zu gewinnen ist – Popmusik ist dann nicht mehr unschuldig, vielmehr, sie war es nie.

Und dennoch: auf einem Album wie "Fabulous Muscles" finden sich Lieder, welche Dancefloor, Hyme und musikalische Dissidenz auf das intensivste miteinander verbindend, so etwas wie ein reales, wenn auch traumatisches Glück mitteilen. Kellerclubmusik für eine bessere Welt ohne falsche Hoffnungen.
Hier schafft es der slow-motion-lastige Tanzflächenkracher "I luv the vally OH!" sich zwischen Indiehit und Schrei in den Hörgängen festzusetzen, dort entwickelt "Crank heart" beinahe eine gewisse Manchester-Virilität. Und dann versinkt dieses Meisterwerk in atonalen Schleifen, verfremdet anmutender Perkussion und Klaviermelodieresten.

Die Melancholie des Pop
Es ist Songs XIU XIUs, allen voran denjenigen des Albums "La Forêt", anzumerken was es kostet, festzuhalten: Beziehungen, Gefühle, Momente, Widerstand. Unterdessen mischt sich, beinahe unbemerkt, ein Tonfall der Bedrohung unter die Songs. Militärische Snares, Metallkratzen, verhallte Drumcomputer und schwer-wavige Gitarrenarbeit tauchen das Album in ein schmutziges Grau. Stellenweise verschwindet der Gesang im hellen Dröhnen, geradezu ambientlastiger Passagen. Und es stellt sich das Gefühl ein, hier im "Zitat" etwas Besonderem das Ohr zu leihen, einer originären Sprache zuzuhören, keiner Form aus zweiter oder dritter Hand, sondern einer Art Stottern, welche weniger ein Plagiat, als vielmehr ein originäres Sprechen darstellt.

Paradigmatisch brachten wohl TON STEINE SCHERBEN die Angst vor den toten Pathosformeln des Ausdrucks und ihrem Verrat am Gefühl im Booklet von "Keine Macht für Niemand" zum Ausdruck: "Wie kann ich noch sagen: ‚Ich liebe dich!’ Nachdem ich gehört habe: ‚Autos lieben Shell!’?"
Und vielleicht ist hier der Punkt, von dem aus sich die Melancholie des Pop, sein notwendiger Selbstzweifel an der eigenen Ausdruckskraft erhellt. Wo selbst die Sprache der Liebe, den Sprechenden als entfremdete und objektivierte entzogen wird, dort wendet sich das Subjekt des Begehrens angeekelt ab. Und welches Subjekt wäre tiefer in Musik versponnen, als eben jenes?
All dies findet sich, wenn auch gebrochen, in der Arbeit XIU XIU´s: Das Misstrauen gegen die Formen bei gleichzeitiger Bejahung derselben, die Sprache der Liebe bei gleichzeitiger Konterkarierung des sentimentalischen weißen Liebesliedes durch explizite Artikulation sexueller Differenz. Der Widerspruch wird Prinzip der Erfahrung.

Pathos und Hysterie
Augenfällig herrscht im Werk JAMIE STEWARTs eine gewisse Exaltiertheit vor.XIU XIU sind zugleich hyperaktiv-hysterisch in der Instrumentierung, wenn sie Electro-Schnipsel, Drones, Lo-Fi Akustikgitarren oder Schrammelpop zusammenzerren, und auf perfide Weise pathetisch. Gleiches gilt für den Gesang, die Stimme.
In der Konsequenz vergreift man sich manchmal im Sekundentakt an den großen Popvokabularen der Liebe, des Schmerzes und der Politik, sowie ihrem guten Ton, indem all dies theatralisch-hysterisch aufgeladen wird.
Wenn uns der Ausdruck die Intensität des Gefühls nimmt, welches er zu artikulieren verspricht, dann zeigt sich vielleicht in seiner Selbstdestruktion, im pathologischen, distanzlosen „Zuviel“, die nackte Haut des Liedes.
Wenn die Formen bersten, rinnt Schönheit als Rau- oder Rohheit durch. Diese Schönheit ist konkret und blutig, wie mancher der Texte, ein Logbuch sexueller, existentieller, politischer und ästhetischer Differenz.

Welcome to the pleasuredome…
Brandhell ist diese Musik und so ist es kein Wunder, daß man auch eine JOY DIVISION / NEW ORDER- Coverversion im Oeuvre der Band finden kann. Auf "Chapel of the Chimes" gibt es eine krächzende Aneignung des Klassikers Ceremony:

Oh, I’ll break them down, no mercy shown,
Heaven knows, its got to be this time,
Watching her, these things she said,
The times she cried,
Too frail to wake this time.

Oh, Ill break them down, no mercy shown,
Heaven knows, its got to be this time,
Avenues all lined with trees,
Picture me and then you start watching,
Watching forever, forever,
Watching love grow, forever,
Letting me know, forever.


Im agonalen Pop XIU XIU´s bleibt von dem Ungenügen am Pop der Schmerz, von seinem Versprechen die Verzweiflung, während sie zugleich uneingelöst vergegenwärtigt bleiben. Trotz oder gerade wegen Jesus auf dem noch aktuellen Cover - profane Musik. Zugegeben: kein Ende, ein Anfang.




XIU XIU mit ihrem Song "I Luv The Valley Oh!" aus dem Album "Fabulous Muscles" (2004).